Gastbeitrag: CallCenter PROFI

Kategorie: Unternehmen
Auszug: In einem exklusiven Gastbeitrag für das CallCenter-PROFI-Magazin, welches seinen Fokus auf professionelles Servicemanagement legt, teilen unsere Geschäftsführer EnderTezel und Ralf Thomas ihre Ansichten darüber, ob KI die perfekte Personalplanung ermöglicht und welche Herausforderungen dabei zu beachten sind.

Künstliche Intelligenz und Workforce Management: Gibt es bald die perfekte Planung?

Die einen sagen, dass Workforce Management (WFM) zukünftig gar nicht mehr erforderlich sein wird. Andere stellen die Frage nach den Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) in Verbindung mit WFM. Diese Bandbreite zeigt eine gewisse Orientierungslosigkeit auf, die zur Diskussion um WFM wohl einfach dazugehört. Unsere Gastautoren Ender Tezel und Ralf Thomas sind überzeugt, dass WFM einen weiterhin deutlich wachsenden Stellenwert innerhalb einer jeden Omnichannel-Plattform und damit in den Unternehmen insgesamt haben wird. Deshalb muss die Frage nach sinnvollen Einsatzmöglichkeiten von KI innerhalb eines WFM differenziert betrachtet werden. 

Es beginnt damit, dass im Kundenservice, bei Omnichannel-Plattformen, bei Contact-Center-Suiten, etc. KI derzeit fast ausschließlich mit nur einem Teilbereich der KI gleichgesetzt wird: der generativen KI.  

Seit der Einführung von ChatGPT im November 2022 hat die Geschwindigkeit im Rennen um die besten KI-Modelle zugenommen, und die Hersteller von Contact-Center-Software überbieten sich in der Kommunikation um die Entwicklung von KI-Integration in ihre Lösungen. Fast ausschließlich geht es dabei um Bots und damit um die zugrunde liegenden Large Language Models (LLMs). Die Benchmarks zu den LLMs sind oft schon wieder veraltet, sobald sie veröffentlicht wurden. LLMs und darauf basierende Anwendungen sind auch im Kundenservice allgegenwärtig und Entscheider zögern zumindest bei Software ohne Label „mit KI“ – sicher auch, um sich gegen vermeintlich falsche Entscheidungen abzusichern. Eine fundierte Auseinandersetzung mit diesem Teilbereich der KI bleibt oftmals jedoch aus.  

„LLMs dienen der KI zum Training und man sollte einmal verstanden haben, dass dieses Training besser funktioniert, je größer die Datenbasis ist. So weit, so klar und einfach. Aber eine größer werdende Datenmenge birgt in allen Modellen eben nicht zwangsläufig eine Verbesserung, sondern schlussendlich nur eine sicherere Vorhersage einer Eintrittswahrscheinlichkeit. Übersetzt bedeutet dies: Mit jedem Anwachsen der Datenmenge, werden die durch LLMs generierten Antworten durchschnittlicher. Es ist die Natur dieser Modelle, sich auf die Mitte einer (Normal-)Verteilung zu beschränken und dabei Randaspekte unterhalb einer Eintrittswahrscheinlichkeit abzuschneiden – ob man das wahrhaben will oder nicht.“ 

Schadet KI der Individualisierung?

„An zwei Beispielen lässt sich das „eindrucksvoll“ nachvollziehen. Generiert man mit KI-Bilder, greift die KI auf eine riesige Datenmenge zurück und liefert auf die Anfrage: „Generiere eine Büroumgebung in einem erfolgreichen Unternehmen“ ein Bild mit neun Männern mittleren Alters, alle hellhäutig und im Hintergrund eine ebenfalls hellheutige Frau. Ohne KI gelänge jeder Werbeagentur das besser. Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: das eher zweifelhafte Ergebnis bei einer KI-gestützten Anpassung von Bewerbungsfotos für „Führungsposition, erfolgreiche Frau, Mitte 30″. Auch hier bedient sich die KI zwar aus gigantisch vielen, aber eben Mainstream-Daten, bei denen Randbereiche stets abgeschnitten werden. Kurz gesagt: Mit zunehmender Datenmenge, wird der Mainstream durch KI immer besser gelöst. Einige Zeit noch wird das rein mathematische Phänomen dadurch überdeckt, dass der Prozentsatz weniger Beachtung findet als die Anzahl. Es beeindruckt derzeit schlicht die Zahl der durch KI besser – was immer „besser“ bedeutet – unterstützten Kundenservice-­Fälle. Das wird sich zukünftig deutlich ändern, und man muss bereits jetzt die Fragen stellen, wie wohl mit der daraus stets abnehmenden Individualisierung auf Anbieter- und Kundenseite umgegangen werden wird.“ 

Wo ist die KI im Workforce Management?

Mit diesen Eindrücken zurück zu KI im Kundenservice und im WFM: Aus dem hier Beschriebenen leitet sich ganz unmittelbar auch ein Aspekt für den Einsatz von KI in einem WFM ab. Vollkommen naheliegend scheint der wenig neue Ansatz, KI-gestützte Forecasts als Basis für die anschließende Personaleinsatzplanung zu nutzen. Aber das beinhaltet eben dieses Missverständnis der lernenden Anwendbarkeit von Kl. Natürlich wird der Forecast besser, je größer die Datenmenge ist, aber erstens wird er das nur in der Eintrittswahrscheinlichkeit der angenommenen Werte im mittleren Bereich, da auch hier ein immer größer werdender Teil an „Rändern“ abgeschnitten wird, und zweitens muss hinterfragt werden, was davon denn wirklich KI ist und was einfach nur die zweifellos beeindruckend schnelle, aber letztlich nur stochastische Analyse von gigantischen Datenmengen. „KI erzeugt Forecasts, die auch eintreten“ – ist eben nichts mehr als eine gern genommene Suggestion, die sich aus ebendiesem Missverständnis ableitet. Natürlich bedeutet das andersherum mitnichten, dass der Einsatz von KI bei der Erstellung von Forecasts vergebens wäre. Ein modernes WFM nutzt mit Machine-Learning-Methoden einen wichtigen Teilaspekt von KI bereits seit Jahren. Der Einsatz dieser Technologien im WFM bietet bereits heute den Vorteil, Personalbedarfsplanung präziser zu gestalten, indem sie historische Daten und zukünftige sowie saisonale Trends berücksichtigt. Dies führt zu einer optimierten Ressourcennutzung und reduziert Ober- oder Unterbesetzungen. Richtig implementiert ist das schon KI im WFM. KI kann so richtig aber erst dann bei der Erstellung von Forecasts unterstützen, wenn anhand von immer größer werdenden Datenmengen darauf abgestellt wird, wie mit Nebeneffekten umgegangen wird. Große Kontaktvolumina in kürzester Zeit zu analysieren und daraus Muster und Vorhersagen abzuleiten, damit schnelle und datenbasierte Entscheidungen zu ermöglichen und diese im Anschluss durch KI auszuwerten und quasi lernend vorne wieder in den Prozess einfließen zu lassen, das entspräche dem, was KI leisten kann und soll.  

Ein Forecast tritt doch nie ein, oder?

Wer eine operative Funktion im Kundenservice hat, weiß doch, dass ein Forecast nie eintritt. Bereits kleinste Abweichungen, also der Flügelschlag eines Schmetterlings, bringen den ganzen Tag hindurch die immer wieder gleichen Probleme und machen den Service-Level zunichte. Und immer wieder werden Entscheidungen getroffen, wie mit den sich meist aufschaukelnden Abweichungen umzugehen ist. Aber diese Entscheidungen auf Ihre Richtigkeit zu prüfen und dabei die Richtigkeit auch mit einem Sinn zu verknüpfen, geschieht praktisch nie. Zu wenig Kapazität. Hilft nachbesetzen? Ist das wirtschaftlich? Ist wirtschaftlich richtig gedacht? Hilft der Einsatz einer virtuellen Warteschleife? Dient das Verlagern des Problems der Kundenzufriedenheit? Ist das besser? Führt das ständige Abarbeiten von Rückrufszenarien zu erhöhter Fluktuation? Ist das Gegensteuern richtig oder besser? Zu häufig noch zielt aber die Frage hinter der Frage nach KI im WFM auf den Wunsch ab, Einsatzpläne oder Tagessteuerung per Knopfdruck von „der KI“ erledigen zu lassen. Um sich der Antwort zumindest zu nähern, müssen sowohl Einsatz also auch Funktionsweise von KI aber eben anders gedacht werden, als buzzwordartig einem nicht zu erreichenden Zielgedanken aufzusitzen. Begibt man sich in einen typischen Anwendungsfall einer KI-gesteuerten Personaleinsatzplanung, dann werden Einsatzpläne in einem modernen WFM-System auch heute schon von einem ausgeklügelten und damit komplexen Regelsystem erstellt. Gesetzliche und betriebliche Vorgaben werden dabei genauso berücksichtigt, wie persönliche Präferenzen der Mitarbeitenden. Mit komplexer werdenden Anforderungen und Begehrlichkeiten aus verschiedenen Unternehmensbereichen, kommt mit der KI auch der Wunsch, weitere KPIs in die Planungen einfließen zu lassen. Fragen, wie „Wird auch die Bearbeitungszeit eines einzelnen Mitarbeitenden berücksichtigt?“ oder „Kann das System die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Mitarbeitenden am Wochenende einbeziehen?“ sind Beispiele dafür, wie Verantwortliche ein WFM-System mit KI sehen möchten. Vorsicht geboten ist hierbei, dem KI­-Modul mehr beibringen zu müssen, als dass Mitarbeitende mit kurzen Bearbeitungszeiten in Zeiten mit hohem Volumen eingeplant werden. Randzeiten, in denen das Volumen geringer ist, bleiben somit Mitarbeitenden mit längeren Bearbeitungszeiten vorbehalten. Man könnte das ausgleichen, indem man zusätzlich die Qualität, zum Beispiel die Erstlösungsquote, als Parameter einbezieht. Dann könnte es sein, dass ein Mitarbeitender, der länger braucht, aber eine bessere Qualität liefert, nicht nur in Randzeiten eingeplant wird. Egal wie man es anstellt, die KI wird eine Voreingenommenheit entwickeln: Die „Richtigen“ bekommen die richtigen Zeiten, die „weniger Richtigen“ die nicht ganz so richtigen Zeiten. Richtig? 

KI ist bereits Teil eines modernen WFM

Ein WFM-System soll dabei helfen, Prozesse transparent zu machen und eine hohe Employee Experience zu erreichen. Das beschriebene Szenario würde dem nicht gerecht. Hinzu kommt, dass eine Planung aus vielen Regeln besteht, und somit hätte eine KI nur einen sehr engen Gestaltungsspielraum. Der Nutzen ist gering und möglicherweise kontraproduktiv. Nur der bloße Ruf nach KI im WFM würde dem nicht gerecht werden. Über den Forecast hinaus, bei dem KI in einem modernen WFM natürlich bereits zum Einsatz kommt, wird es darum gehen, die Nutzer von WFM-Systemenund das sind mehr und mehr alle Bereiche in einem Unternehmen – mithilfe von KI bei anstehenden Entscheidungen zu unterstützen. KI ist in der Lage, Permutationen und Auswirkungen im Voraus nicht nur zu berechnen, sondern Auswirkungen von Entscheidungen abschätzen zu helfen, um dann an der jeweiligen Weggabelung den nach allen Abwägungen zielführendsten Weg zu gehen. KI im WFM muss helfen, Entscheidungen zu treffen und dem jeweiligen Entscheider die Wahrscheinlichkeiten der Auswirkungen der Entscheidungen aufzuzeigen. Umgangssprachlich formuliert: KI im WFM wird, richtig durchdacht, dabei helfen, standfester zu beantworten, ob eine Entscheidung eine gute Idee ist. Ob und für welche Richtigkeit ist es eine gute Idee, Mitarbeitende von einem Skill auf den anderen zu setzen oder einen Postkorb dem anderen vorzuziehen? KI wird WFM in die Lage versetzen, mögliche Entscheidungskombinationen gegeneinander abzuwägen und diese datenbasiert belastbar zu machen.

Auch im WFM ersetzt KI den Manager nicht

Die KI wird in absehbarer Zeit daher nicht die WFM-Manager ersetzen, sondern das machen, wofür KI benötigt wird: unterstützen bessere Entscheidungen zu treffen, und gleichermaßen stets die Frage an die Definition von Richtig immer und immer wieder an die unterschiedlichen Unternehmensbereiche stellen. Anders lässt sich die dramatisch zunehmende Bedeutung von WFM weit über den operativen Kundenservice für alle Unternehmensbereiche nicht bewältigen. Die Frage ist also nicht, ob KI in einem WFM-System zum Einsatz kommt, sondern vielmehr wie der Einsatz von KI in einem WFM vom Hersteller her gedacht wird. Die Beschränkung auf die rein operativen Bereiche des Kundenservice ist dabei viel zu beschränkt gedacht. Platt gesagt: Glaubt irgendwer tatsächlich, dass der Vorstand eines Unternehmens, der als Unternehmensziel eine Kundenanzahl ausruft, vorab und retrograd einen belastbaren Zusammenhang zum Einhaltungsgrad des Service-Levels herstellt? Vielleicht wäre aber genau das gewollt. KI im WFM wird dabei helfen können und vielleicht auch aufzeigen, dass es „richtiger“ in der Gesamtbetrachtung ist, dem WFM zu folgen, das eine andere Entscheidung zur Präferenz erklärt. 

Ergänzende Infografiken

Über die Autoren

Ender Tezel

Ender Tezel: Dipl.-Ing., ist als Geschäftsführer der opcyc GmbH für Gewinnung, Aufbau und Pflege langfristiger Kundenbeziehungen verantwortlich. Seit 20 Jahren arbeitet er im Customer-Care-Umfeld und verantwortete die erfolgreiche operative Umsetzung komplexer standortübergreifender Großprojekte genauso, wie kleinere Projekte mit ebenfalls stets speziellen Anforderungen an Planung und Steuerung. Durch seine umfassende operative Expertise kennt er die Herausforderungen im Tagesgeschäft des Kundenservice und versteht sich als lösungsorientierter Partner für die Kunden der opcyc GmbH.

Ralf Thomas

Ralf Thomas: ist als Vorstandsvorsitzender der mVISE AG für die strategische Weiterentwicklung der Gesellschaft zuständig. Die mVISE AG hat sich unter ihm zu einer Manufaktur für Software-Entwicklung transformiert und ist seit Anfang 2024 Muttergesellschaft der opcyc GmbH. Seit inzwischen 30 Jahren bringt der Kundenservice-Experte sein breites Spektrum an unternehmerischen und operativen Erfahrungen ein. Seit vielen Jahren steht dabei auch die Zukunftsfähigkeit und die wirtschaftliche Gesamtbedeutung von operativem Kundenservice in seinem Fokus.

Lesen Sie das Interview in der Printausgabe